Wie kann man die eigene Familie schützen und sich gleichzeitig vor ihr bewahren?
In 'Blinde Geister' erzählt Lina Schwenk eine berührende
Familiengeschichte von den 1950er-Jahren bis in die Gegenwart. Mit ihrem
eindringlichen Romandebüt schreibt sie in eine Zeit hinein, in der
drängende Fragen auf ein tiefes Schweigen prallen.
Olivia, die Tochter von Rita und Karl, kennt seit jeher die Angst der
Erwachsenen vor einem erneuten Krieg, obwohl seit Jahren Frieden
herrscht in Deutschland. Beharrlich überprüft Karl die Speisekammer auf
Vorräte, und immer wieder sucht die Familie gemeinsam Zuflucht im
Keller, wenn der Vater den Einfall der Russen fürchtet. Für Olivia und
ihre Schwester Martha ist es ein Spiel, dem sie sich still fügen, auch
weil sie längst wissen, dass den Eltern die Worte für Erklärungen fehlen
und das Schweigen nur umso lauter wird, je mehr sie fragen. "Bald bin
ich tot", denkt auch Olivia, als die Unruhe der Eltern schleichend zu
ihrer eigenen wird. In ihrer ersten eigenen Wohnung fehlt Olivia der
Keller – dieser kleine Schutzbunker ihrer Kindheit, der immerhin eins
bedeutete: Familienzeit. Die langen Risse, die von den Eltern bis in
ihre Generation reichen, erkennt sie erst, als sie später versucht, ihre
eigene Tochter vor jenem Bedrohungsgefühl zu schützen. Doch dann kommt
der Februar 2022, und das, was zuvor wie ein Phantom wirkte, wird
plötzlich erschreckend real. "Blinde Geister" ist ein vielschichtiger
und bewegender Roman, der vor dem Hintergrund deutscher Zeitgeschichte
tief verwurzelte Ängste freilegt und mit feinem Gespür das Sonderbare
und Entrückte im Menschen ergründet.